Erscheinungsdatum: 03.02.2013
Quelle: Deutsche Welle
26 Prozent der Führungskräfte in türkischen Top-Unternehmen sind Frauen – damit liegt das Land über dem EU-Durchschnitt. Viele dieser Geschäftsfrauen kämpfen gezielt für bessere Karrierechancen junger Türkinnen.
Die türkische Topmanagerin Güler Sabanci wurde in den Aufsichtsrat des deutschen Großkonzerns Siemens gewählt. Sie gehört laut einem Ranking von Forbes aus dem Jahr 2012 zu den „100 mächtigsten Frauen der Welt“. Die 57-Jährige hat sich als Vorstandschefin des Familienunternehmens Sabanci Holding auf internationaler Ebene durchgesetzt.
In westeuropäischen Medien hat die Türkei beim Thema Frauen eher eine schlechte Presse – oft liest man negative Schlagzeilen über die Unterdrückung von Frauen oder sogenannte „Ehrenmorde“. Mit der Wahl einer türkischen Unternehmerin in den Siemens-Aufsichtsrat rückt ein ganz anderer Aspekt in die Öffentlichkeit: die Rolle der Frauen in der türkischen Geschäftswelt.
Während die Europäische Union über eine Frauenquote für die Chefetagen diskutiert, sind in der Türkei bereits 26 Prozent der Führungspositionen in den größten Unternehmen von Frauen besetzt. Damit ist die Anzahl der weiblichen Führungskräfte in der Türkei höher als im EU-Durchschnitt.
Maßnahmen gegen Ungleichheit
Lale Saral Develioglu, stellvertretende Geschäftsführerin des türkischen Kommunikations-Giganten Turkcell, gehört zu diesen erfolgreichen weiblichen Führungskräften. Sie ist für die Tochtergesellschaften der Firma in acht Ländern zuständig, unter anderem auch für Turkcell Europe: „Unsere Kollegen in Deutschland und anderen europäischen Ländern staunen, wenn sie erfahren, wie viele weibliche Führungskräfte es in der Türkei gibt. Darauf sind wir sehr stolz“, sagt sie im Gespräch mit der DW. Develioglu betont zwar, dass Frauen im Geschäftsleben höhere Hürden zu bewältigen hätten als Männer. Um das Gefälle zwischen den Geschlechtern zu verkleinern, seien Regeln für mehr Gleichheit nötig – und deren konkrete Umsetzung müsse auch in der jeweiligen Firma mit besonderer Aufmerksamkeit überwacht werden. Im Unternehmen von Lale Saral Develioglu sind heute 35 Prozent der Führungskräfte Frauen, und auch die Hälfte des gesamten Personals ist weiblich.
„Wir achten besonders auf die Gleichberechtigung der Geschlechter – gleiches Geld für gleiche Arbeit ist eine seit langem etablierte Regel in unserem Unternehmen, und gleichzeitig eine Norm in fast allen türkischen Firmen“, erklärt Develioglu. Die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen in europäischen Ländern wie Deutschland seien für viele türkische Berufstätige ein rätselhaftes Phänomen: „Wir haben bereits Maßnahmen eingeführt, um die Diskriminierung von Frauen in der Personalauswahl und bei Beförderungen zu unterbinden. Gleichzeitig versuchen wir, ein Gleichgewicht zwischen Privatleben und Berufstätigkeit zu schaffen.“ Ihre Firma biete beispielsweise besonders gute Krankenversicherungen für Mütter und ihre Kinder oder Räume innerhalb des Firmengebäudes, in denen junge Mütter ihre Säuglinge stillen könnten. Solche Maßnahmen könnten dazu beitragen, Frauen bessere Karrierechancen zu ermöglichen.
Die andere Seite der Medaille
Trotz der vielen Top-Managerinnen in der Türkei haben es die meisten Frauen auf dem türkischen Arbeitsmarkt immer noch schwer. Die Statistiken über weibliche Führungskräfte zeigen kein vollständiges Bild: Nur zehn Prozent der Mitglieder der Aufsichtsräte von türkischen Firmen sind weiblich, sagt Murat Yesildere, der türkische Vertreter der internationalen Firma Egon Zehnder. Dieser Prozentsatz wäre noch niedriger, wenn man Familienunternehmen nicht dazu zählen würde – denn gerade in solchen Unternehmen hätten Frauen eher einen Einfluss auf das Management als in anderen Firmen.
Die Vorsitzende der Organisation Weiblicher Unternehmerinnen in der Türkei (KAGIDER), Sema Kendirici, gibt zu bedenken, dass der Anteil der berufstätigen Frauen in ihrem Land im vergangenen Jahrzehnt von 35 auf nur 25 Prozent gesunken ist. Nur etwa jede vierte Frau hat in der Türkei einen Job: Das ist weniger als in jedem europäischen Land.
Türkische Geschäftsfrauen hoffen aber, dass sie das ändern können: Zum Beispiel indem sie sich mit Projekten an arbeitslose Frauen wenden. Managerin Develioglu betont, dass im Bereich der Gleichberechtigung noch sehr viel getan werden müsse, um das große Potenzial der Frauen nicht zu vergeuden. Weibliche Arbeitskräfte leisteten einen besonders wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung eines Unternehmens – auf allen Arbeitsebenen: „Vielfalt ist für Unternehmen heute wichtiger als je zuvor“, erklärt sie. „Diese Vielfalt – zu der auch Frauen beitragen – ist nötig, um unterschiedliche Herangehensweisen an Probleme zu entwickeln und um echte Fortschritte zu erzielen.“
Die weibliche Business-Elite der Türkei arbeitet zusammen mit Nichtregierungsorganisationen an Projekten für Frauen. Zu den Erfolgsgeschichten dieser Kooperation gehört das Projekt „Snowdrops“, an dem auch Develioglu beteiligt ist: „Seit dem Jahr 2000 hat dieses Projekt bereits Stipendien an 95.000 Mädchen aus sozial schwachen Familien vergeben, die sich ohne diese Hilfe nicht einmal den Schulbesuch leisten könnten“, erklärt Develioglu. „Jedes Jahr vergeben wir 10.000 Stipendien an Mädchen, um mehr Chancengleichheit in der Bildung herzustellen.“
Eine andere Erfolgsgeschichte ist das Projekt „Frauenpower für die Wirtschaft“, das Mikro-Kredite für 55.000 sozial schwache weibliche Unternehmerinnen in der Türkei bereitgestellt hat. In den nächsten vier Jahren werden voraussichtlich 100.000 weitere Unternehmerinnen Zugang zu diesen Mikro-Krediten bekommen.
Solche Projekte der weiblichen Business-Elite in der Türkei zeigten, dass diese Frauen nicht nur eine Bereicherung für ihr Unternehmen seien, sondern auch andere Frauen dazu ermutigen könnten, ihrem Beispiel zu folgen, sagt Lale Develioglu.